Baden-Württembergische Kliniken vernetzen sich mit neuer Infrastruktur
Projekt PC3-AIDA ermöglicht Universitätskliniken umfangreichen Wissens- und Datenaustausch mithilfe von Künstlicher Intelligenz
Der erste Grundstein einer Zukunftsvision: An den baden-württembergischen Unikliniken Freiburg, Tübingen und Ulm sowie der Universitätsmedizin Mannheim wurde eine neue Dateninfrastruktur etabliert, die alle Projektstandorte miteinander vernetzt. Die neue Struktur erlaubt einen unkomplizierten und sicheren Austausch von Patientendaten, insbesondere radiologischer Bildgebung, unter den Projektstandorten in Echtzeit und stellt einen reichen Pool an Wissen und Informationen für alle Beteiligten zur Verfügung. Am Dienstag, 10. Dezember 2024 wurde der erste hochaufgelöste Photon-Counting-CT-Datensatz erfolgreich zwischen zwei Standorten übertragen und ausgewertet und damit die neue Struktur für den Betrieb vorbereitet. Im Klinikalltag wird die Datenaustauschplattform zahlreiche Abläufe für das klinische Personal und die Patient*innen erleichtern und die Grundlage für weitere Dienste wie Terminmanagement oder ärztliche Unterstützungssysteme schaffen.
„Für Baden-Württemberg, aber vor allem für unsere vielen Patient*innen ist das ein großer Schritt, da wir nun nicht nur einfache radiologische Bilddaten hin- und herschicken, sondern auch andere medizinische Informationen wie Laborwerte integrieren und vor allem mit KI-Analysen im System die Wertigkeit der Bilddaten für die Behandlung weiter erhöhen“, sagt Prof. Dr.Fabian Bamberg, Ärztlicher Direktor der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Freiburg.
Multifunktionale Dateninfrastruktur für einen sicheren Austausch
Im Vorläuferprojekt von PC3-AIDA – dem Projekt PC3 – wurden an allen beteiligten Kliniken neuartige Computertomographen mit der „Photon-Counting“-Computertomographie-Technologie (PC-CT) etabliert. Nun haben die Universitätskliniken Freiburg, Tübingen und Ulm sowie die Universitätsmedizin Mannheim einen neuen Meilenstein erreicht: An allen Standorten wurden die multifunktionale Dateninfrastruktur tdhp – kurz für “teamplay digital health platform connect” – eingerichtet und die Kliniken damit digital miteinander vernetzt. Somit ist es den Kliniken nun möglich, untereinander Patientendaten, aber auch Wissen auszutauschen und so auf einen reichen Pool an Informationen für weitergehende KI-gestützte Analysen zuzugreifen. Am 19.11.2024 erfolgte nun offiziell der erste Austausch eines PC-CT-Datensatzes zwischen den klinischen Standorten in Freiburg und Mannheim über die neu implementierte Daten-Infrastruktur tdhp. Im weiteren Verlauf des Projekts soll mit Unterstützung der Landesagentur BIOPRO Baden-Württemberg, Stuttgart, das Potential der tdhp und der angeschlossenen Software-Mehrwertdienste aufgezeigt und damit ein Grundstein für die Weiterverarbeitung von hochkomplexen Gesundheitsdaten mit erhöhtem Nutzen für Patientinnen und Patienten verbunden mit einer Wertschöpfung in der digitalen Gesundheitsindustrie des Landes gelegt werden. Dazu gehören unter anderem KI-gestützte Software-Dienste, welche beispielsweise die tiefergehende Analyse von Bilddaten und die Erstellung von Arztbriefen erleichtern oder laborinterne Prozesse optimieren.
Die tdhp im Klinikalltag – wie Patientinnen und Patienten profitieren
Das Projekt PC3-AIDA stellt die Weichen für die Zukunft des Gesundheitsdatenaustausches und der Nutzung dieser Daten im baden-württembergischen Gesundheitswesen. Im Klinikalltag wird die Datenaustauschplattform eine Vielzahl von Abläufen für das klinische Personal und die Patientinnen und Patienten erleichtern und die Grundlage dafür darstellen, auch Prozesse wie Terminmanagement oder ärztliche Unterstützungssysteme zu nutzen. „Eine bereits im Projekt integrierte innovative Lösung ist die Forschungsplattform NORA, welche z.B. eine direkte Nutzung von frisch entwickelten KI-basierenden Auswertealgorithmen für Bilddaten ermöglicht“, so Prof. Dr. Konstantin Nikolaou vom Universitätsklinikums Tübingen. Prof. Dr. Meinrad Beer vom Universitätsklinikum Ulm ergänzt: „Ein exzellentes Beispiel ist das Prostatakarzinom. Gemeinsam entwickeln wir an den Standorten KI-unterstützte Auswerteprogramme weiter, welche das Erkennen der Tumore wie auch die individuelle Prognose der Betroffenen verbessern werden. Um hier große Fortschritte zu erzielen, ist der sichere und effiziente Austausch größerer Bilddatensätze notwendig. Die tdhp Infrastrukur stellt einen Meilenstein dar, dies nun rasch umzusetzen.“
Die zukünftige Infrastruktur des Gesundheitswesens ist interoperabel
Ziel des Projekts PC3-AIDA ist es, mit der interoperablen Gesundheitsdateninfrastruktur tdhp eine dynamische und anpassungsfähige Basis für eine digital vernetzte Gesundheitsversorgung zu schaffen. Das Dienstleistungsspektrum der tdhp deckt die gesamte „Patient Journey“, also den Weg eines Patienten oder einer Patientin im Gesundheitssystem, ab – von der Vorstellung in Klinik oder Arztpraxis über die Diagnosestellung und Therapieplanung bis hin zur Therapie-Begleitung. Zudem stehen bereits an die Plattform angeschlossene Software-Mehrwertdienste zur Verfügung, die unter anderem diagnostische Entscheidungsfindungsprozesse durch die Anwendung von maschinellem Lernen unterstützen, das therapeutische Management erleichtern oder die digitale Koordination von Versorgungskapazitäten ermöglichen. Prof. Dr. Stefan Schönberg, Direktor der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin an der Universitätsmedizin Mannheim, berichtet: „Aus meiner Sicht geht die nun etablierte tiefgreifende Vernetzung zu lokalen KMUs und Startups im Medizintechnik-Sektor deutlich über den sicheren Austausch von Gesundheitsdaten hinaus: Sie stellt die zentrale Plattform zur Entwicklung von Anwendungen der Künstlichen Intelligenz und ihrer Integration als sog. Mehrwertdienste dar und bietet so unseren Patientinnen und Patienten das Potential, selbst und zuerst von diesen im Land geleisteten Neuentwicklungen zu profitieren. Am Standort Mannheim soll beispielsweise die automatisierte, KI-assistierte Befunderstellung für kardiale PC-CT Untersuchungen unter Einbeziehung multipler Datensätze im Rahmen der Medizintechnik-Infrastruktur etabliert werden.“
Teil dieser Infrastruktur ist das „INSPIRE LIVING LAB“, ein spezielles Reallabor der Universitätsmedizin Mannheim, das mit der Anbindung eines neuen Mehrwertdienstes an die tdhp nun eine weitere, für PC3-AIDA entscheidende Maßnahme umgesetzt. Dr. Hannah Schlott, Leitung des INSPIRE LIVING LABS, betont: „Aktuell entwickeln gerade Start-ups viele spannende Produkte und digitale Anwendungen, die Patient:innen und Klinikmitarbeiter:innen in verschiedensten Situationen in der ambulanten und stationären Versorgung unterstützen. Hier ist es besonders wichtig, eine schnelle und unkomplizierte Anbindungsmöglichkeit an die klinische Dateninfrastruktur ermöglichen zu können und gleichzeitig höchste Sicherheitskriterien und strengste Datenschutzaspekte zu beachten.“
Großes Potenzial der Infrastruktur tdhp
In Baden-Württemberg gibt es eine facettenreiche Unternehmenslandschaft mit globalen Big Playern, zahlreichen kleinen und mittleren Unternehmen sowie Start-ups, die an verschiedensten Schnittstellen der Medizintechnik angesiedelt sind. Basierend auf einer aktuellen Auswertung der BIOPRO zeigen etwa 110 Medizintechnik- und Softwareunternehmen ein Firmenprofil mit Synergien zur tdhp oder entwickeln Technologien, welche die Funktionen der Plattform künftig ergänzen könnten. Darunter finden sich wiederum zwölf Institutionen, welche bereits eine starke Implementierung von Künstlicher Intelligenz aufweisen und somit in besonderem Maße von der tdhp profitieren könnten.
„Damit bietet Baden-Württemberg die optimale Umgebung für die Ausschöpfung des vollen Potentials des PC3-AIDA-Projekts und stellt die Weichen für die Entwicklung einer hochdynamischen Vernetzungsplattform, die nicht nur mit Daten gespeist, sondern selbst hochkomplexe multimodale Daten generieren wird, von welchen die angeschlossenen Mehrwertdienste profitieren”, erklärt Prof. Dr. Ralf Kindervater, Geschäftsführer der BIOPRO. “Die Konstruktion der tdhp als „Platform as a Service“ Angebot (PaaS) ermöglicht weiterhin die Anbindung von Krankenkassen über das elektronische Gesundheitsaktensystem (eGA) und von anderen Teilnehmern des Gesundheitswesens, die die Implementierung einer von der Plattform ausgehenden vollumfänglichen Wertschöpfung erlauben. PC3-AIDA handelt somit im Sinne der Digitalisierungsstrategie Deutschlands und trägt entscheidend dazu bei, dass die Versorgung in Baden-Württemberg schnell und flächendeckend gestaltet werden kann und dass ihre Qualität stetig zunimmt.“
Hintergrund des Projekts PC3-AIDA:
In der Medizin ist das Konzept der Translation unerlässlich für Innovationen. Es bezeichnet die nahtlose Übertragung von Forschungswissen in die Industrie und umgekehrt, wodurch Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in konkrete Anwendungen für die Versorgung von Patientinnen und Patienten umgesetzt werden können. Die BIOPRO Baden-Württemberg stellt die institutions- und branchenübergreifende Translation der Projektergebnisse sicher und begleitet mögliche Kooperationsanbahnungen, um die Ausschöpfung des vollen Potentials von PC3-AIDA zu erreichen. Von der BIOPRO organisierte und moderierte Industrieworkshops und eine gezielte Öffentlichkeitskampagne erhöhen die Projektsichtbarkeit und schaffen Synergien zwischen den Konsortialpartnern, universitätsmedizinischen Partnern, außeruniversitären Forschungsinstituten und der Industrie. In diesen Workshops werden weitere Produktszenarien erarbeitet, um die Vernetzung von und Kooperationen mit KMUs und Start-ups zu ermöglichen. In Baden-Württemberg entsteht so eine umfassende Wertschöpfungskette, die medizinische Daten in Produkte umwandelt und den globalen Wettbewerbsvorteil sichert – im Interesse von Patientinnen und Patienten und Wirtschaft.
Förderung durch Wirtschaftsministerium
Das Projekt PC3-AIDA wird seit August 2023 unter dem Dach des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg durch das Wirtschaftsministerium über einen Zeitraum von rund eineinhalb Jahren mit insgesamt etwa 1,6 Millionen Euro gefördert. Im Rahmen des Projekts werden neben dem Austausch der PC-CT-Datensätze und deren umfassenden Verwertung auch komplexe Datensätze aus Magnetresonanztomographen (MRT) sowie weitere medizinische Daten anderer Art berücksichtigt. Wichtig ist, dass sich auf dem System zusätzliche Mehrwertdienste unter Einbindung von klein– und mittelständischen Software-Unternehmen in der digitalen Gesundheitsindustrie einbinden können.
Über das Forum Gesundheitsstandort BW
Auf Initiative von Ministerpräsident Winfried Kretschmann wurde 2018 das „Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg“ gegründet, um eine engere Vernetzung der Bereiche Forschung, Gesundheitsversorgung und -wirtschaft zu erreichen und Baden-Württemberg zum führenden Gesundheitsstandort zu entwickeln. Es versteht sich als Arbeits- und Innovationsplattform, die gemeinsame Handlungsfelder definiert, Strategien erarbeitet und neue Kooperationen ermöglicht. Das Forum vereint aktuell mehr als 600 Expertinnen und Experten aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, Krankenkassen, Forschungsinstituten und Universitäten sowie Biotech-, Pharma- und Medizintechnikfirmen aus Baden-Württemberg.